Von Strasbourg nach Dorlisheim (15. Juli 2022)
Es ist eigentlich jeden Morgen das gleiche, wenn ich auf einem Camino bin. Einen Wecker muss ich mir nie stellen, da ich regelmäßig früher als geplant aufwache. Die Zeit nutze ich dann, um mich in aller Ruhe auf den Tag vorzubereiten. Gegen 7 Uhr verlasse ich das Hotel und begebe mich an das Ufer der Ill. Ich ziehe durch das Viertel Petit France, sicherlich eines der schönsten von Strasbourg. Nach 4 Kilometern verlasse die Ill und folge nun dem Canal de la Bruche, der im 17. Jahrhundert zum Transport von Baumaterial für die Festungsanlage von Strasbourg entstand. Ausgangspunkt war Soultz-les-Bains in der Nähe von Molsheim, die Streckenlänge beträgt ca. 22 Kilometer. Der letzte Transport auf dem Kanal wurde 1939 durchgeführt. Den ehemaligen Treidelpfad hat man zu einem gut ausgebauten Fahrradwanderweg umgewandelt, der gerne genutzt wird, wie ich heute feststellen darf. Asphalt-Hasser unter den Pilgern werden den Abschnitt lieben.
Wenn dir zu dieser frühen Zeit dein Schatten vorauseilt, kannst du sicher sein, in Richtung Santiago de Compostela zu gehen. Nach gut zwei Stunden finde ich eine schattige Bank bei Oberschaeffolsheim, wo ich für eine gute halbe Stunde eine erste Pause einlege. Etwa eine Stunden später passiere ich die Zufahrt nach Hangenbieten und entdecke dort ein Hinweisschild auf eine nur 200 m entfernte Bäckerei. Manchmal sollte man halt nicht den digitalen Helfern vertrauen, sondern hoffen und die Augen offen halten. Das Risiko gehe ich ein und finde den Laden tatsächlich geöffnet vor. Ich bestelle mir ein Sandwich (in Spanien würde es Bocadillo heißen) mit Salami. In den folgenden zwanzig Minuten bin ich damit beschäftigt, das knusprige Baguette zu vertilgen. Der Wunsch war da und das Universum hat wieder einmal geliefert. Merci!
Auf dem Weg wechseln sich schattige und sonnige Passagen ab. Dazu weht hin und wieder ein leichter Wind, der die Etappe etwas leichter erscheinen lässt. Allmählich wird es Zeit für die nächste große Pause. Und just in dem Moment laufe ich an einer großen Tafel vorbei, die für einen Biergarten in circa einem Kilometer wirbt. Der Haken dabei ist die Öffnungszeit, die liegt mit 12 Uhr etwas zu weit weg. Als ich dann 15 Minuten vorher ankomme, sehe ich aber schon ein paar Radfahrer mit einem Glas in der Hand. Der Biergarten befindet sich auf dem Gelände eines der früheren Schleusenwärterhäuser, die zum Teil hübsch saniert wurden und bewohnt sind. Ich gönne mir ein großes Bier und lasse mich für eine Stunde direkt am Schleusengraben nieder. Kurz darauf gesellen sich vier Enten zu mir und legen sich schnatternd in den Schatten.
Beim Betrachten der Karte fällt mir auf, dass ich eigentlich im letzten Ort hätte abbiegen müssen. Der Biergarten entschädigt aber für diesen Fauxpas und im nächsten Ort treffe ich wieder auf den Jakobsweg. Der ist hier auch nur spärlich gekennzeichnet, da kann man eine Markierung schon mal übersehen. Tatsächlich kürze ich mit dem Verbleib auf dem Radweg ein wenig ab. Im weiteren Verlauf sehe ich zudem, dass die Originalstrecke am Rande von Weinbergen verläuft, und das voll im Einflussbereich des gelben Planeten. In Ergersheim verlasse ich nach 18 Kilometern Begleitung den Canal de la Bruche und darf zur Abwechslung auf einem staubigen Feldweg laufen. Ich komme zunächst in Wolxheim an der Capelle de St. Armuth, einer Mariengrotte sowie dem Dompeter aus dem 12. Jahrhundert bei Avolsheim vorbei. Auf einem schmalen Pfad entlang des Flusses Bruche gelange ich nach Molsheim. Hier bin ich schon einmal vor Jahren beim Marathon de Vignoble d'Alsace einen Halbmarathon gelaufen. Man nennt diese Veranstaltung auch den "kleinen Medoc-Marathon", weil es unterwegs Wein und allerlei lokale Leckereien an den Verpflegungsstationen gibt.
Da ich in Molsheim einen kleinen Supermarkt ausfindig gemacht habe, drehe ich eine nicht eingeplante Schleife durch den schönen Ort und sammele damit wohl die vorher abgekürzten Meter wieder ein. Zufällig befindet sich dort am Marktplatz die Tourist-Info, wo ich noch einen schönen Pilgerstempel erhalte. Nun geht es noch zur ehemaligen Jesuitenkirche, heute die Pfarrkirche von Molsheim. Von hier sind es nun nur noch zwei Kilometer bis zum Bahnhof von Dorlisheim, wo ich die heutige Etappe beende und morgen die nächste beginnen werde. Zu meinem Hotel "Zum Schnogaloch" in Obernai fahre ich mit dem Zug, muss dann aber noch einmal quer durch den Ort laufen. Auch die kommende Nacht habe ich mich hier eingemietet und kann der morgigen Königsetappe mir fast 800 Höhenmeter mit leichtem Gepäck entgegentreten. Highlight wird morgen das Kloster St. Odile sein, das nur mit einem Anstieg von 500 Höhenmetern auf 5 Kilometer zu erreichen ist. Dafür ist die Etappe mit 23 Kilometern aber recht kurz. Und da ich nicht weiß, ob und wie lange morgen die Läden geöffnet sind, habe ich mir für Sonntag schon einmal die benötigte Ration Wasser gekauft. Zum Abschluss des Tages möchte ich noch etwas essen, hier bietet sich das Restaurant meines Hotels an. Nach einer kurzen Wartezeit mit Bier wird ein Tisch frei und ich bestelle mir eine Portion Elsässer Sauerkraut, das mit Würstchen, Speck und Fleisch garniert ist. Schön, dass ich nach anfänglicher Konversation auf Französisch auf Deutsch wechseln kann. Für morgen Abend werde ich nach dem Essen gleich einen Tisch reservieren.
Diese Etappe ist ein Abschnitt meiner Pilgertour auf dem Badischen, Kinzigtäler und Elsässer Jakosbweg von Lichtental nach Sélestat im Juli 2022.