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Caminho Português da Costa 2025

 

Datum Strecke Länge Gesamtlänge
1. 28.09.2025 Labruge - Aguçadoura 22 km 22 km
2. 29.09.2025 Aguçadoura - Antas 25 km
47 km
3. 30.09.2025 Antas - Carreço 25 km 72 km
4. 01.10.2025 Carreço -  A Guarda 26 km 98 km
5. 02.10.2025 A Guarda - Porto Mougás 20 km 118 km
6. 03.10.2025 Porto Mougás - A Ramallosa 17 km 135 km
7. 04.10.2025 A Ramallosa - Vigo 21 km 156 km
8. 05.10.2025 Vigo - Cesantes 20 km 176 km
9. 06.10.2025 Cesantes - Pontevedra 19 km 195 km
10. 07.10.2025 Pontevedra - A Armenteira 17 km 212 km
11. 08.10.2025 A Armenteira - Vilanova de Arousa 20 km 232 km
12. 09.10.2025 Vilanova de Arousa - A Pedreira 43 km 275 km
13. 10.10.2025 A Pedreira - Santiago de Compostela 12 km 287 km

  

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Anstatt in Porto gelandet in Madrid gestrandet

26.09.2025: Anreise nach Porto

Dank der DB beginnt die diesjährige Pilgerwanderung auf dem Caminho Portugues schon wieder richtig gut. Ich schaue am Nachmittag mal einfach so in die Bahn-App, ob mein gebuchter ICE um 16:48 Uhr pünktlich ist. Als erstes fällt mir ins Auge, dass die Zugbindung aufgehoben ist, danach auch der Grund: Tiere auf der Strecke. Ankunft eine gute Stunde später am Frankfurter Flughafen. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als eine Stunde früher einen IC zu nehmen und ab Mainz mit einem RE oder der S-Bahn weiterzufahren. Zum Glück hatte ich ein ausreichendes Zeitpolster eingerechnet, da man sich ja leider nicht auf die DB verlassen kann. 

Ich werde von Susanne zum Bahnhof gebracht, wo ich feststellen muss, dass auch der frühere Zug zwanzig Minuten Verspätung hat. In Mainz muss ich umsteigen, habe dort aber innerhalb weniger Minuten zwei Möglichkeiten, den Frankfurter Flughafen zu erreichen. Ein kurzer außerplanmäßiger Stopp in Gau-Algesheim kommt noch dazwischen, sodass ich den RegionalExpress und die S-Bahn schon mal nicht erreichen werde. Um 17:10 Uhr fährt ein weiterer RegionalExpress, den ich letztendlich nur aufgrund seiner acht Minuten Verspätung erwische. Auf dem Bahnsteig treffe ich sogar noch einen Bekannten. Übrigens fährt mein ursprünglicher ICE ab Koblenz erst zur eigentlich geplanten Ankunftszeit in Frankfurt los. Na ja, gegen 17:45 Uhr treffe ich dann endlich am Flughafen ein. Dort läuft mir noch ein Pärchen aus meiner Schulzeit in Bad Ems über den Weg. Das passiert mir immer wieder, dass ich irgendwo unvermutet Leute treffe.

Ich beginne mit dem Einpacken meines Rucksackes. Dafür habe ich eine Rolle Frischhaltefolie mitgenommen, die sich zunächst sehr störrisch anstellt. Es dauert aber nicht lange, dann verschwindet mein Gepäck unter der Folie. Gerade als ich fertig werde, kommt Jörg um die Ecke und wir geben direkt unsere Rucksäcke ab. Die Sicherheitskontrolle ist auch schnell durchlaufen, sodass wir es uns am Gate A56 bis zum Boarding gemütlich machen können. Um 21:30 Uhr heben wir in Frankfurt von der Startbahn West ab und ich nutze die Flugzeit für ein wenig Augenpflege.

Kurz vor der Landung erklärt uns der Kapitän, dass in Porto Nebel aufgezogen sei und außerdem die Signalleuchten nicht betriebsfähig seien. Deshalb fliegen wir jetzt nach Madrid und sollen dort die Nacht in einem Hotel verbringen. Gegen 00:20 Uhr landen wird in der Hauptstadt Spaniens. Ich informiere schon einmal unseren Taxifahrer, der sich bei mir per WhatsApp gemeldet hat. Auch unserem Hotel gebe ich Bescheid, dass wir nicht kommen werden. Unser Gepäck ist rasch da, auch die Umbuchung auf einen Iberia-Flug um 11:45 Uhr am Samstagvormittag ist in der Lufthansa-App erfolgt. Es fehlt aber einfach jemand, der uns in irgendeiner Form informiert, ob wir jetzt ein Hotelzimmer bekommen und wie wir dorthin kommen. Irgendwie fühlen wir uns wie Tom Hanks in seiner Rolle als Viktor Naviorski in Terminal.

Nachdem um 3:00 Uhr immer noch nichts passiert ist, entschließen wir uns, mit dem Bus zum Terminal 4 zu fahren. Von dort geht unser Flug nach Porto. Den Check-In erledigen wir an einer Maschine und stellen uns in die Warteschlange zur Gepäckabgabe. Es ist inzwischen 4:00 Uhr. Für den restlichen Tag haben wir einen Plan B aus der Tasche gezaubert. Wir haben uns ein Taxi bestellt, das uns vom Flughafen bis zur ersten Unterkunft in Labruge bringt. Dort können wir versuchen, das Schlafdefizit dieser Nacht ein wenig auszugleichen und dann am Sonntag fit loszulaufen.

 

   

 

 

Noch immer nicht unterwegs

27.09.2025: Von Madrid nach Labruge

Wir hängen schon seit Stunden im Terminal 4 fest und warten gelangweilt auf den Aufruf zum Boarding. Kurz nach 6:00 Uhr sitzen wir bei McDonalds und nehmen das wohl schlechteste Frühstück seit langem ein. Es war uns zwar eher nach einem Boccadillo mit Jamon Iberico, aber 14 - 19 Euro war uns etwas Zuviel. Jetzt würden wir uns wahrscheinlich doch dafür entscheiden. Gegen 7:00 Uhr begeben wir uns in den Abflugbereich K in eine Ecke, deren Sitze kaum belegt sind. Wir ziehen eine Stuhlreihe etwas näher heran und können dadurch die Beine ablegen. Während wir ein wenig die Augen zu machen, wird es draußen hell und die Sonne lacht uns an. Jetzt, gegen 8:30 Uhr, dauert es immer noch gut 2,5 Stunden bis zum Boarding.

Die Zeit vergeht auch mit Nichtstun sehr langsam und wir verlagern für den letzten Abschnitt der Warterei bis zum Boarding in der Nähe von Gate K96. Um 11:40 Uhr hebt unsere Maschine - eine Bombardier CRJ-1000 - von der Startbahn des Madrider Flughafens ab. Endlich sind wir wieder in der Luft auf dem Weg nach Porto, wo wir nach einer Stunde Flugzeit mit einer Verspätung von über zwölf Stunden ankommen. Wir werden bereits von Luis, unserem Chauffeur, erwartet. Er hat per WhatsApp Kontakt aufgenommen und erwartet uns bereits. Es dauert aber noch eine Weile, bis unsere Rucksäcke in der Gepäckausgabe ausgespuckt werden. 

Luis fährt uns nach Labruge, wo wir in der örtlichen Pilgerherberge auf zwei freie Betten hoffen. Wir streifen unterwegs den Strand, wo der Camino herführt. Alleine dort sehen wir schon fünf Menschen mit Rucksack. Die aktuellen Statistiken des Pilgerbüros von Santiago de Compostela machen deutlich, dass der Caminho Portugues mit seinen Varianten nach dem Camino Frances der beliebteste Jakobsweg ist. Nach kurzem Weg erreichen wir die Albuerge San Tiago de Labruge, wo bereits sechs Pilger auf die Öffnung in einer Stunde warten.

Nach und nach treffen weitere Pilger ein und es zeichnet sich jetzt schon ab, dass es viele aus verschiedensten Nationen werden. Vom Alter her sind die meisten in unserer Region angesiedelt. Ausnahmen sind Julia aus Düsseldorf sowie zwei weitere junge Deutsche. Ansonsten erkennen wir Polen, Rumänen, Italien, Österreich, Ukraine, Irland, England, Russland, Kanada, Australien, Südkorea, Slowenien, Malta, USA, Spanien, Frankreich. Und Juan, ein Mexikaner mit einem riesigen Rucksack mit 15 kg Gewicht, der selbst beim Beziehen des Bettes laut stöhnt. Unsere Unterkunft hat schon eine Kapazität von 67 Betten, sodass ich hier keine Vorabreservierung vorgenommen hatte (ging auch nicht, weil es sich um eine öffentliche Herberge handelt). Am Ende des Tages übernachten hier 58 Leute. Als wir in einem Café sitzen, laufen ständig Pilger an uns vorbei in Richtung Unterkunft. Wir sind inzwischen froh, dass die meisten Herbergen schon reserviert wurden. Damit entfällt für uns das tägliche Wettrennen um freie Betten.  

Ja, und beinahe hätten wir morgen keine Unterkunft gehabt. Der morgigen Herberge sollte ich heute noch einmal Rückmeldung geben, ob wir tatsächlich die vor ein paar Wochen getätigte Buchung aufrechterhalten wollten. Bei der Durchsicht der Unterlagen fiel mir auf, dass ich wohl ein falsches Datum angegeben hatte, nämlich den Montag. Nach ein paar Mails erhalte ich die gute Nachricht, dass auch morgen noch freie Betten vorhanden seien.

Der Nachmittag wird vornehmlich genutzt, die aus Madrid mitgebrachte Müdigkeit ein wenig zu verringern. Nachher werden wir noch einmal zu dem Café zurückkehren, um eine kleine Mahlzeit einzunehmen. Morgen starten wir dann mit etwas Verzögerung unseren Camino.

 

   

 

 

Portwein, Kuchen und Geschenke

28.09.2025: Von Labruge nach Aguçadoura (22,4 km)

Tja, das Wettrennen um die Betten scheint tatsächlich in diesem Jahr ein Thema zu sein. Bereits im 4:30 Uhr machen sich die ersten Pilger fertig, glücklicherweise sehr rücksichtsvoll, das haben wir schon anders erlebt. Wir stehen allerdings erst gegen 7:00 Uhr auf und da ist unser Schlafsaal mit seinen 14 Betten schon fast leer. Wir bereiten uns sehr gemütlich auf den ersten Pilgertag vor und machen dabei interessante Beobachtungen, worauf andere ihre Schwerpunkte legen. Eine Pilgerin macht sich während ich die Zähne putze neben mir Augenbrauen und Wimpern, hinter mir rauscht ein Fön. Auf dem Weg zu meinem Platz sitzt eine Koreanerin auf ihrem Bett mit einem kleinen Schminkspiegel und einer Puderdose in den Händen.  

Pünktlich um 8:00 Uhr verlassen wir die Herberge. Draußen ist es bereits angenehm temperiert, der Wind kühlt dagegen noch ein wenig. Wir erreichen bald die hier typischen Holzstege, auf denen wir heute viel Zeit verbringen werden. In Vila Chã kehren wir bereits nach 2,5 Kilometern im Café Sandra ein und genehmigen uns ein leckeres Croissant und einen Café con leche. Zudem wandert der erste Pilgerstempel für heute in den Pilgerausweis. Weiter geht es über die Holzplanken nach Vila do Conde mit reichlich Wind. Aber sich die Sonne kommt immer wieder durch und sorgt für annehme Wärme. Die imposante Front des Klosters Santa Clara jenseits des Rio Ave ist schon von weitem sichtbar. Unmittelbar hinter der Brücke macht eine Gruppe unter lautstarker Musik Aerobic. Wir verschwinden daher schnell in der Touristinfo am Flussufer, wo wir mit Freundlichkeit überhäuft werden. Die Mitarbeiterin bietet uns direkt ein Stück Kuchen und einen Portwein an. Außerdem dürfen wir uns jeder einen Beutel mit Geschenken mitnehmen, die es am gestrigen Tag des Tourismus gab. Wir unterhalten uns kurz und bekommen einen weiteren Stempel. Weiter geht es am Flussufer, wo eine originalgetreue Nachbildung eines portugiesischen Ozeanschiffs aus dem 16. Jahrhundert liegt.

Dann kam der schlimmste Teil des heutigen Tages. Vila do Conde zieht sich kilometerlang und grenzt dann fast ohne Übergang an Póvoa de Varzim. Die kerzengerade Straße beginnt am Forte de São João Baptista, wo heute unzählige Biker ihre Motorräder zur Schau stellen. Auch auf dem Fußgänger- und Radweg ist heute Völkerwanderung angesagt, und zwar überwiegend entgegen unserer Laufrichtung. Spaziergänger, Sportler und Fahrradfahrer sind unterwegs, in Zahlen kaum auszudrücken. Es fehlen nur die Pilger, bis kurz vor Vila do Conde noch häufig vor und nach uns waren. Als wir dann endlich auch die letzten hochgeschossigen Häuser von Póvoa de Varzim hinter uns gelassen haben, wird es allmählich Zeit für eine längere Pause. Die ist längst überfällig, aber bei den Massen von Leuten gab es keinen schönen Platz.

 Den finden wir nach 29 Kilometern gegen 13:00 Uhr mit dem Restaurant Barracuda Mar. Es liegt direkt am Strand mit Blick auf den Atlantik. Auf der Karte steht Fisch in allen Variationen, vor allem aber frisch. Wir entscheiden uns für gegrillte Sardinen, von denen jeder gleich fünf Stück serviert bekommt und die so lecker sind. Wir halten uns dort eine Dreiviertelstunde auf und sind nicht mehr weit von unserer heutigen Unterkunft entfernt. Kurz davor möchte uns die Besitzerin einer andere Herberge zu sich lotsen, wir sind aber heute schon vergeben. Nur wenige Schritte weiter erreichen wir die Albergue de peregrinos de Aguçadoura, die heute restlos ausgebucht ist. Das bekommen einige Pilger zu spüren, die spontan hier anfragen. Zum Glück haben wir reserviert - eine weise Entscheidung. Die Herberge ist noch recht neu, eingeweiht 2022, und sieht dementsprechend gepflegt aus. Übliches Prozedere: Duschen, waschen, ruhen.

Nach der Ruhephase haben wir Hunger, nicht viel, aber doch. Wir entscheiden uns für das Café Nortada, wo es auch Snacks gibt. Wir werden vom Personal gleich zweimal gefragt, woher wir kämen. Darauf wurde direkt versucht, ein paar Worte Deutsch mit uns zu sprechen. Mit unseren  paar Worten Portugiesisch können wir da

nicht mithalten. Während wir auf die Bestellung warten, läuft im Hintergrund „Anarchy in the UK“ von den Sex Pistols, wow. Auf den Teller kommt heute Abend ein Salat, dazu gesellen sich Super Bock (portugiesisches Bier) und Cola.

 

   

 

 

Sind wir etwa Luxuspilger?

29.09.2025: Von Aguçadoura nach Antas (25,3 km)

Gegen 7:00 Uhr herrscht in unserer 6-Personen-Stube Aufbruchstimmung. Dabei stelle ich fest, dass das bis zu meinem Einschlafen verwaiste Bett belegt ist und daneben ein Rollstuhl steht. Bei der Vorbereitung auf den Tag komme ich mit ihm ins Gespräch, während seine Begleiterin ihm hilft. Die beiden kommen aus Bayern und haben den Caminho Portugues schon einmal absolviert. Größte Herausforderungen sind die Pilgerherberge, die meistens nicht barrierefrei sind. Um 7:40 Uhr sind wir abmarschbereit. Jörg hilft dem Rolli noch eine für ihn steile Rampe hoch, während seine Begleitung noch den Blick auf das Meer genießt. Ihr Spruch „Das Leben ist schön“ sagt eigentlich alles. Dem kann ich nur zustimmen.

Die ersten drei Kilometer laufen wir wieder auf Holzstegen, begleitet von der aufgehenden Sonne und dem Rauschen des Atlantiks. An einem Golfclub wechseln wir auf eine gut befahrene Straße, die mit Kopfsteinpflaster ausgelegt ist. Schon bald weichen wir von unserer Route ab und bevorzugen erneut ein Stück auf den Planken. Gegen 9:15 Uhr und nach knapp 8 Kilometern erreichen wir Apúlia, wo wir in der Bar dos Campeões unsere Frühstückspause mit Baguette und Café con leche einlegen. Wir sind in in wenig verwundert, dass außer uns kaum andere Pilger zu sehen sind.

Wir halten uns eine geschlagene Dreiviertelstunde auf, bevor wir wieder die Rucksäcke aufschnallen. Der weitere Weg nach Fão führt uns überwiegend über  Kopfsteinpflaster. Dort finden wir auch erstmals mit der Capela de Nossa Senhora da Lapa e da Senhora de Fátima de Fão eine offene Kirche direkt am Weg vor. Unmittelbar dahinter entdecke ich einen Elektroladen und frage, ob es dort ein Ladekabel für meine Powerbank gibt. Das leider nicht, dafür aber einen guten Hinweis auf einen Handyladen, wo ich auch fündig werde. Über eine Brücke queren wir den Rio Cávado und erreichen nur wenige Schritte dahinter bei Kilometer 13 die Raststation The X, wo es einen Stempel und etwas zu trinken gibt. Auch dort verweilen wir ein wenig, bis es weiter durch Esposende geht. 

Von meinem letzten Caminho Portugues da Costa habe ich noch in Erinnerung, dass es in einer Kirche einen weiteren Pilgerstempel gibt. So ist es auch, nämlich in der Igreja da Misericórdia de Esposende. Die Wegführung nach Marinhas hat sich nach all den Jahren etwas verändert. Anstatt an der Straße entlang geht es jetzt durch die Dünen. Gegen 13:00 Uhr folgt die nächste Pause, 18 Kilometer sind geschafft. Wir kommen gut voran, das Wetter ist sonnig bei ungefähr 25 Grad und manchmal weht ein erfrischender Wind. In Marinhas kehren wir zum dritten Mal ein, besorgen uns im örtlichen Supermarkt noch ein paar gesalzene Erdnüsse und Wasser. Wir passieren die Pilgerherberge von Marinhas, wo noch kein Pilger in der Warteschlange ist. Überhaupt haben wir heute nur ganz wenige Pilger unterwegs gesehen.

Nun geht es tatsächlich einmal aufwärts nach den vielen Kilometern direkt am Meer entlang. Wir laufen durch Belinho an der schönen Igreja Paroquial vorbei. Neu sind sich zwei Pilgerbrunnen, die erst vor zwei Jahren installiert wurden. Nur zwei Kilometer vor unserer Unterkunft lädt die tt-Bar zum Verweilen ein. Hier habe ich 2017 schon einmal ein Frühstück eingenommen. Es ist jetzt 15:00 Uhr und unsere Herberge öffnet erst in einer Stunde, also können wir uns Zeit nehmen. Tatsächlich kommen wir etwas vor der offiziellen Öffnungszeit in der Albergue Ulteya in Antas an und sind die ersten Pilger. Wir bekommen ein tolles Doppelzimmer und sind mit der gesamten Umgebung mehr als zufrieden. Zufrieden bin ich auch mit der Lufthansa, die mir die Kosten für das nicht genutzte Hotel in Porto erstattet. Zufrieden sind wir auch mit unserem Zimmer, das so wie gestern mit Bettwäsche und Handtuch ausgestattet ist.

Unsere Vermieterin weist uns darauf hin, dass heute kein Restaurant geöffnet hat. Da im Haus aber eine Küche ist, kaufen wir im nahegelegenen Supermärktchen ein paar Zutaten. Danach ist Jörg wieder in seinem Element und beackert den Herd. Heraus kommt eine ordentliche Portion Spaghetti mit Tomaten und Seranoschinken. Inzwischen hängt unsere frisch gewaschene Wäsche auf der Leine und gegen 19:00 Uhr verabschiedet sich unsere freundliche Gastgeberin von uns und wünscht uns für morgen alles Gute. Heute sind wir übrigens lediglich 6 Pilger im Haus, das eigentlich eine Kapazität von 23 hat. Das bestätigt aber noch einmal, dass wir heute sehr wenige Pilger gesehen haben.

 

   

 

 

 

Erste Meetings mit Jakobus

30.09.2025: Von Antas nach Carreço (24,9 km)

Heute Nacht haben wir nicht sonderlich gut geschlafen. Direkt vor unserer Herberge verläuft eine Durchgangsstraße, die stark und zum Teil schnell befahren wird. Dementsprechend hoch ist auch der Geräuschpegel, und erst recht, wenn das kleine Fenster unseres Zimmers gekippt ist. Wenn man denkt, jetzt kann ich einschlafen, rauscht das nächste Auto vorbei und du bist wieder wach. Irgendwann schließt Jörg das Fenster und die Geräusche verhallen beinahe komplett. So können wir dennoch ein paar Stunden gut schlafen und stehen kurz nach 7:00 Uhr auf. Bis wir zum Abmarsch bereit sind, vergeht noch fast eine Stunde. Wir lassen uns halt für die Vorbereitung des Tages Zeit, damit auch nichts vergessen wird.

Direkt neben unserer Haustür beginnt die heutige Etappe und führt uns auf einem felsigen Weg durch einen Eukalyptuswald abwärts zum Rio Neiva, den wir über eine flache Steinbrücke überqueren. Danach geht es erstmals aufwärts nach Castelo de Neiva zur Igreja de Santiago. Dort finden wir zum ersten Mal den Pilgerheiligen. Unterwegs säumen verschiedene Skulpturen und Reliefs den Wegesrand. Es geht weiter über Stock und Stein bis zum Mosteiro de São Romão do Neiva kurz vor Chafé, einem Ende des 11. Jahrhunderts gegründetes, ehemaliges Benediktinerkloster. Nur ein paar Ecken weiter und wir sind in Chafé, machen dort in Café São Sebastião gegen 10:00 Uhr unsere Frühstückspause, die rund eine Dreiviertelstunde dauert.

Nachdem es „endlich“ weitergeht, passieren wir mal wieder riesige Kohlstauden und etwas danach die Igreja de Santiago de Vilanova de Anha. In diesem Jahr liegen sogar in fast allen Kirchen Pilgerstempel aus. Wenn das so weitergeht, reicht unser Pilgerausweis nicht aus. Hinter Vilanova de Anha geht es zunächst moderat, dann aber sehr steil aufwärts. Am Straßenrand werden  gegen einen kleinen Betrag Getränke, Snacks und ein Stempel angeboten und gegenüber befindet sich ein lavadouros (ein öffentliches Waschhaus) mit schön ausgemalter Decke. Auf der Höhe angekommen hat man schon einen schönen Blick auf Viana do Castelo. Besonders sticht  das Santuário de Santa Luzia oberhalb der Stadt auf, das man zu Fuß oder mit einer Standseilbahn erreichen kann. Allmählich geht es wieder abwärts und je mehr wir der von Gustav Eiffel gebauten Brücke über den Rio Lima nähern, desto mehr riecht es nach Meer. 

Immer wieder werden wir von freundlichen Portugiesen gegrüßt, aufgemuntert oder aus dem Auto angehupt oder nett gewunken. Man fühlt sich hier einfach willkommen, ein tolles Land. Toll ist die belebte Innenstadt von Viano do Castelo nicht gerade. Ein Blick in die Kathedrale, die gerade saniert wird und ein Vorbeimarsch am historischen Rathaus sowie der Igreja de Nossa Senhora da Agoniq und wir befinden uns schon wieder am Atlantik. Schon bald entdecken wir gegen 13:00 Uhr eine Rastmöglichkeit und nutzen diese wieder sehr ausgiebig. Bis hierhin haben wir bereits  rund 28 Kilometer hinter uns gebracht. Heute habe wir tatsächlich wieder einige Pilger mehr gesehen als in den vergangenen Tagen. 

Hier an der Küste merkt man die 26 Grad nicht, da eine leichte Brise weht. Wir treffen auf vier alte Windmühlen entlang der zerklüfteten Mondlandschaft, die aber oft kleinen Seen aufgenommen hat. Dazwischen suchen unzählige Möwen nach Futter. Am Ende des heutigen Strecke bekommen wir noch einmal die federnden Holzwege unter die Füße. In der Ferne sehen wir bereits den Kirchturm von Carreço. In unmittelbarer Nähe befindet sich unsere Unterkunft Casa Adro. Dort treffen wir gegen 15:15 Uhr ein und werden von dem Hospitalero in Empfang genommen. Die Herberge hat abgeschlossene Schlafboxen für jeden, das gefällt ins sehr gut. Am besten ist aber der zugehörige Salzwasserpool, den wir gerne nutzen. Hier in Carreço treffen wir Jonathan und Lukas aus Würzburg, die wie wir in der Herberge in Labruge übernachtet haben. Mit den beiden sitzen wir später auch im einzigen Restaurant von Carreço. 20 € für ein Pilgermenü hört sich zunächst viel an, aber dann wandern nacheinander auf den Tisch: kalte Frühlingsrolle mit Dip, Garnelen und Miesmuscheln, Avocado-Dip mit Keksen, eine Flasche Rotwein, eine Dorade mit Kartoffeln und Salat und ein Eis - nicht schlecht, oder?

 

   

 

 

 

Hustenbonbons lutschen durch die Nase

01.10.2025: Von Carreço nach A Guarda (26,2 km)

Heute gibt es einige Veränderungen. Wir starten in einen neuen Monat, wir wechseln in ein anderes Land und damit von obrigado zu gracias,wir trinken nicht mehr Super Bock sondern Estellq Galicia und außerdem hinken wir mit der Uhrzeit nicht mehr eine Stunde hinterher. Es ist unser letzter Tag in Portugal, was wir sehr bedauern. Wir haben uns hier sehr wohl gefühlt in der tollen Landschaft und den netten Menschen.

Da unser Boot über den Rio Minho über die Landesgrenze für 12:30 Uhr gebucht ist und wir bis Caminha noch 19 Kilometer zu laufen haben, stehen wir früh auf. Früh heißt für uns heute 6:00 Uhr. Während wir uns im Aufenthaltsraum vorbereiten, zeigt uns eine Italienerin ihre schlimmen Blasen. Da sie aber außer ihrer Muttersprache keine andere kann, wird es schwierig für uns, ihr zu helfen. Später erfahren wir von Jonathan, dass er sie mit Blasenpflaster versorgt hat. Wir verlassen um 6:30 Uhr die Herberge und werden sich prompt von einem Hahn aus Carreço verabschiedet. Es ist noch stockdunkel, aber unser Weg führt zunächst über beleuchtete Straßen - gepflastert natürlich mit Kopfsteinen. Nach einer guten halben Stunde beginnt die Morgendämmerung und es wird etwas einfacher, über den mit grobem Gestein belegten Waldweg zu gehen. Die Augen gewöhnen sich rasch an die verschiedenen Lichtverhältnisse und wir sind zudem sehr vorsichtig, dass auch ja nichts passiert. Als die Sonne aufgeht, beginnen in der Umgebung die Hähne einen kleinen Wettstreit.  

Kurz vor Afife sind wir etwas vom Weg abgekommen, werden aber von einem freundlichen Herrn am Fester auf unseren Fehler hingewiesen. Also kehrt und wieder ein Stück zurück gelaufen. Es geht leicht abwärts zum ehemaligen Kloster São Joã de Cabanas. Vor acht Jahren sah das noch sehr verkommen aus, heute kann man sich sogar im benachbarten Café (zu aktuellen Uhrzeit noch nicht geöffnet) den Schlüssel für eine Besichtigung abholen. Es geht weiter über grobe Steinplatten durch Eukalyptuswälder. Der typische, hier in der Natur nur leicht wahrnehmbare Geruch steigt trotzdem in die Nase. Nach fast zwei Stunden treten wir aus dem Wald und erblicken linker Hand einen „Imbisswagen“, bei dem man ein Frühstück einnehmen kann. Dieses Angebot kommt uns gerade recht und legen eine erste Pause für eine halbe Stunde ein. Während wir dort sitzen, kann man die unterschiedlichsten Charaktere von Pilgern erkennen. Eine junge Frau läuft stur ohne mit der Wimper zu zucken vorbei. Wir müssen nicht lange warten, bis zwei Sloweninnen lächelnd grüßen und sich dann auch für eine Pause entscheiden.

Der folgende Anschnitt wird wieder urbaner, es geht durch Vila Praia de Ancora, wo wir wieder den Atlantik direkt neben uns haben. Um 10:35 Uhr haben wir in Moledo do Minho bereits 15 Kilometer hinter uns gebracht und unterwegs einige andere Pilger getroffen. Wir legen eine letzte Pause ein und ordern noch einmal ein portugiesisches Pilgergedeck bestehend aus Super Bock und Cola. Nebenan tönt aus einem Lautsprecher, der auf einem Auto montiert ist, Wahlwerbung für die unmittelbar bevorstehenden Kommunalwahlen in Portugal. So etwas gibt es bei uns gar nicht mehr. Nach einer halben Stunde treffen wir Jonathan und Lukas und gehen mit ihnen gemeinsam nach Caminha. Dort holen wir uns in der Touristinfo den letzten portugiesischen Pilgerstempel. Wir begeben uns nach gemeinsam zum Hafen, um das Boot nach Spanien zu finden. Da wir bereits gebucht haben, verabschieden wir uns von den beiden und gehen zum angewiesenen Treffpunkt. Wir dürfen bereits früher übersetzen, als geplant. Mit uns dabei ist eine holländische Pilgerin. Rettungswesten sind Pflicht und schon geht unsere Reise über den Rio Minho nach Spanien los. Dort treffen wir bereits vor der gebuchten Abfahrtszeit ein und verabschieden uns von unserer Mitteisenden, die an der Küste nach A Guarda weitergeht. Wir wählen den offiziellen Weg und finden in der Capilla Nuestra Señora de Graciq den ersten Pilgerstempel in Spanien. Danach geht es steil aufwärts und erneut in einen Eukalyptuswald. Wir kommen dennoch gut voran und erreichen nach einer Runde durch A Guarda gegen 14:30 Uhr Ortszeit unsere Herberge O Peirao in der Nähe des Hafens. Das ehemalige Fischerhais ist schmal, aber sehr funktional eingerichtet. Jedem Bett ist ein abschließbares Fach zugeordnet, in dem ein Satz Bettwäsche deponiert ist. Für fühlen und auf Anhieb wohl und sind froh, vorgebucht zu haben, denn die Herberge ist „completo“. Wir treffen hier auch eine Pilgerin, die unterwegs immer vor uns gegangen ist und auch die Holländerin ist heute hier untergebracht.  Den Abschluss des Tages bildete ein Abendessen am Hafen in der Cerveseria Celtic. Serviert wurde Caldo Gallego, Pulpo und ein leckeres Dessert. Bestaunt haben wir die fast 100 verschiedenen Flaschenbiersorten, die nicht nur in einer Vitrine stehen, sondern auch ausgegeben werden. Die nächsten sechs Tage werden entspannt, es stehen immer weniger als 20 Kilometern auf dem Plan.

 

   

  

 

 

Nicht bestellt, aber bekommen

02.10.2025: A Guarda - Porto Mougás (19,6 km)

Heute gehen wir den Tag total entspannt an, denn wir haben im Vergleich zu den bisherigen Tagen nur eine kurze Strecke vor uns. Das wird sich auch an den folgenden Tagen wiederholen. Wir halten es sehr lange  in der Herberge aus, während die meisten schon früh auf den Beinen waren. Davon haben wir aber nicht viel mitbekommen, da jedes Bett mit einem Vorhang versehen und dadurch eine gewisse Privatsphäre gegeben ist. Erst gegen 8:45 Uhr sind wir auf der Straße und laufen einigen Eltern hinterher, die ihre Kinder zur Schule bringen. Am Ausgang winken uns die beiden Insassen eines Fahrzeuges des Guardia Civil freundlich zu und außerdem verabschiedet uns ein sitzender Jakobus noch aus A Guarda. Es ist frisch, etwa 15 Grad verrät die Wetterapp und gerade quält sich die Sonne in den Tag. Eine Bergkette im Osten verhindert jedoch, dass uns ihre wärmenden Strahlen erreichen.

Unser Camino führt uns zunächst auf steinigem Pfad unmittelbar an der Küste entlang, wechselt aber auch gerne hin und wieder auf den breiten und von der Fahrbahn abgegrenzten Seitenstreifen einer gut genutzten Landstraße. Wir kommen wie immer gut voran und gönnen uns eine erste Pause nach 7 Kilometern gegen 10:30 Uhr. Die Bar Explanada de Horizonte in Portecelo hat eine exzellente Lage mit tollem Blick auf die See. Wir genießen den Ausblick intensiv bei einem leckeren Bocadillo mit Schinken und einem Stück Tortilla. Wenn man bedenkt, das mit Bocadillo nur ein „kleiner Happen“ gemeint ist… Das Baguette auf unserem Teller sieht jedenfalls deutlich größer aus. Inzwischen haben auch andere Pilger die Vorzüge dieser Örtlichkeit erkannt.  Wir zählen 16 Personen, so viele Pilger auf einmal haben wir bisher noch nicht zu Gesicht bekommen. Es wird also Zeit für uns, nach einer Dreiviertelstunde Platz für andere zu machen und wieder aufzubrechen.

Mittlerweile ist auch die Sonne über den Berg gekommen, allerdings werden wir phasenweise von Nebel umhüllt. Wir ziehen weiter parallel am Küstenstreifen, der wieder einmal zerklüftet ist. Da wir heute viel Zeit haben - unsere Herberge öffnet erst um 15:00 Uhr - wollen wir bei der nächsten Rastmöglichkeit wiederum eine Pause einlegen. Die ergibt schon nach weiteren 6 Kilometern in Oia, wo sich der Nebel zwischenzeitlich verzogen hat. Da sich in einer Bar einige osteuropäische Pilger lautstark mit ihren Getränken beschäftigen, begeben wir uns zu einer nahe gelegenen Tapasbar, wo es zudem noch den passenden Pilgerstempel von Oia gibt. Wir sitzen im Freien mit Blick auf eine kleine Bucht und trinken etwas in Ruhe. Lecker waren die dazu gereichten grünen Oliven. Anschließend wollen wir uns noch die Kirche des Mosteiro de Santa María de Oia anschauen. Das Kloster war eine Gründung der Zisterzienser aus dem frühen 12. Jahrhundert und stellt auch heute noch mit seinem imposanten Gebäudeensemble eine sehenswerte Attraktion dar. Leider ist der Zugang zur Klosterkirche verschlossen und man kann lediglich durch zwei Gitterfenster ein Blick ins Innere erhaschen, der sich allemal lohnt. Schade, dass nicht mehr möglich ist.

Gegen 14:35 Uhr treffen wir in Mougás wieder von leichtem Nebel begleitet vor  unserer heutigen Albergue Anguncheira ein. Noch eine knappe halbe Stunde müssen wir warten, bis wir herein dürfen. Eine Amerikanerin, die in London lebt, schaut uns etwas verwundert an und spricht von 1,5 Stunden. Ich frage sie, ob sie vielleicht noch die portugiesische Uhrzeit auf ihrem Smartphone hat. Ja, hatte sie: „You made my day!“ war ihre Antwort. Neben uns dreien warten noch vier weitere Pilger auf Einlass, der uns pünktlich gewährt wird. Nachdem alle mit einem Bett und einem Snackbeutel für morgen früh (Inhalt: zwei Äpfel, zwei Magdalenas, Kaffeepulver und Milch) versorgt sind, kommen Jörg und ich an die Reihe. Die junge Frau nimmt uns mit in ein Nebengebäude und übergibt uns ein kleines Zimmer mit einem Etagenbett und eigenem Bad. Dazu gibt es noch ein Bettwäschepaket mit Handtuch und der Preis ist zudem noch jeweils zwei Euro günstiger als die gebuchten Betten. Das nehmen wir natürlich gerne mit, wissen aber nicht, warum wir das verdient haben.

Nach der Dusche haben wir Durst, gehen zum benachbarten Restaurant, wo wir heute Abend auch etwas essen können. Wir leisten Felipe, einem Portugiesen, etwas Gesellschaft. Er hat sich ein paar heftige Blasen gelaufen, die auch schon vom Roten Kreuz versorgt wurden. Meine Feststellung: vor acht Jahren wurde hier Estrella Galicia ausgeschenkt, heute befindet Super Bock im Glas. Damit können wir leben. Brinda! Das hat uns Felipe beigebracht und bedeutet „Stoß an“. Am Abend bekommen wir als Hausgäste noch etwas zu Essen. Weit und breit gäbe es sonst keine Möglichkeit. Unsere Wahl fiel wieder auf galizische Spezialitäten, Piementos de Padron und Zorza.

 

   

  

 

  

Über verbrannte Erde auf den Spuren der Römer

03.10.2025: Porto Mougás - A Ramallosa (16,7 km)

An die Dunkelheit am Morgen muss man sich gewöhnen. Heute sind wir erneut spät aufgestanden, gegen 8:00 Uhr. Sachen packen, Bett abziehen und im Nebengebäude den Frühstücksbeutel geleert. Die meisten Pilger sind schon unterwegs, nur zwei deutsche Frauen, die in die entgegengesetzte Richtung laufen, treffen wir noch an. Um 8:40 Uhr sind wir bereit für einen neuen Tag. Es ist wieder kühl, aber nicht kalt und leicht bewölkt.

Auf Höhe des Campingplatzes Mougás sieht der Hang zu unserer Rechten ziemlich verbrannt aus. Schwarzer Boden, angekohlte Baumstämme und sogar schwarz gefärbte Granitblöcke sind auszumachen. Anscheinend hat es vor wenigen Wochen hier tatsächlich gebrannt, Menschen und Häuser waren wohl nicht in Gefahr. Interessant ist jedoch, wie schnell sich die Natur erholen kann, denn überall sprießen bereits neue Farne aus dem Borden und bringen mit ihrem saftigen Grün einen starken Kontrast in die Szene. Schon von weitem ist aber auch der rot-weiß gestreifte Faro de Cabo Silleiro zu sehen. Wir steigen aber vorher schon über Steinplatten steil in die Höhe, wo wir erstmals richtig ins Schwitzen kommen. In den Granitbrocken sind deutliche und vor allem regelmäßige Spuren zu erkennen. Unserer Vermutung nach handelt es sich vielleicht um eine alte Römerstraße, die durch Fuhrwerke „geformt“ wurde. Dabei könnte es sich um einen Abschnitt der Via XX handeln, genaueres war allerdings nicht herauszufinden.

Nach der Überquerung des Passes ist die Sonne plötzlich da und die ich wünsche mir eigentlich jetzt ein Frühstück. Und siehe da, das Universum liefert schon wieder: an der nächsten Ecke steht ein Schild: A Casa do Peixe. Hier gibt es desayuno (Frühstück) und mehr. Es ist 10:30 Uhr und wir bestellen bei dem freundlichen Herrn hinter der Theke das gleiche, das er zwei anderen Pilgern gerade serviert hat: ein Sandwich mit Omelette, Käse und Tomaten, der Café con leche braucht eigentlich nicht erwähnt zu werden. Kurz vor unserem Aufbruch rund eine halbe Stunde später trifft auch die Holländerin ein, die wir vor zwei Tagen in A Guarda getroffen hatten. Sie wird heute noch etwas weiter gehen als Jörg und ich.

Der Weg wird jetzt urbaner, es geht mal mehr oder weniger durch bewohntes Gebiet. In der Ferne sehen wir die 15 Meter große begehbare Statue der Virxen de Baiona und dahinter an der Küste das Fortaleza de Montereal, dessen Bau im 12. Jahrhundert begann und heute innerhalb der Festungsmauern das Parador von Baiona beherbergt. In der Stadt werden wir an zwei sehenswerten Sakralbauten entlang geführt, der Capela de Santa Liberata und der Igrexa de Santa María de Baiona. Allmählich nähern wir uns dem heutigen Ziel A Ramallosa. Wir queren den Rio Miñor über die historische römische Steinbrücke und  holen uns am nahe gelegenen Kiosk, der anscheinend von eingeschränkten Menschen betreut wird, noch einen Pilgerstempel. Bis zu unserer Unterkunft Paso Piaz ist es nur noch ein Katzensprung. Wir sind aber jetzt um 13:15 Uhr über eine Stunde zu früh und nehmen deshalb im Restaurant Atípico Ramallosa Platz. Nach einer kurzen Wartezeit stehen zwei Teller mit Tomaten-Carpaccio, Rucola, Burrata, grünem Pesto, Tapenade aus schwarzen Oliven und Pistazienmehl vor uns - schmeckt vorzüglich.

Kurz nach 14:00 Uhr begeben wir uns den letzten kleinen Hügel zur Unterkunft hinauf und stellen fest, dass die Rezeption schon besetzt ist. Wir müssen ein wenig warten, bis ein vor uns angekommener Pilger seinen Zimmerschlüssel erhält. Wir haben für heute keine Reservierung vorgenommen, das es im Paso Piaz (einem Herrenhaus aus dem 17. Jahrhundert) ausreichend Betten gibt. Zu unserer Überraschung bekommen wir je ein Einzelzimmer zugewiesen, die sehr spartanisch mit einem Bett, Tisch und Stuhl eingerichtet sind. Aber das ist ja für Pilger völlig ausreichend. Da wir heute Mittag schon etwas gegessen hatten, bleibt am Abend die Küche kalt, Baguette mit Käse und Salami muss genügen.

 

   

 

 

 

Verpacken, beschirmen, einpacken

04.10.2925: A Ramallosa - Vigo (20,5 km)

Manchmal könnte man seine Mitpilger wegen ungehörigen Verhaltens einen hinter die Ohren geben. In der Regel hat in der Unterkunft gegen 22:00 Uhr Ruhe zu herrschen. Gestern kamen ein paar Amerikaner erst eine halbe Stunde später in die Herberge zurück, sich laut unterhaltend. Davon wurde ich wach und musste mit anhören, wie eine weitere halbe Stunde ein rücksichtsloses Verhalten gegenüber den bereits Ruhenden gezeigt wurde. Zum Beispiel gab es keine Türe, die die auch nur annähernd leise geschlossen wurde. Just in dem Moment, als ich aufstehen und ihnen ein paar Takte sagen wollte, herrschte auf einmal Stille. Ich konnte rasch wieder einschlafen und wachte erst um 7:00 Uhr auf. Das war die Zeit, die Jörg und ich für uns festgelegt hatten. 

Eine halbe Stunde bleibt mir jetzt noch bis zur vereinbarten Abmarschzeit. Alle Kleidungsstücke, die in meinem Zimmer offen lagen, sind etwas klamm. Um 7:40 Uhr verlassen wir die Unterkunft und spüren sofort, dass es gar nicht kalt ist. Im Laufe der Wanderung wird die Temperatur zwischen 17 und 20 Grad schwanken. Allerdings ist der Boden feucht, es scheint in der Nacht geregnet zu haben. Wir ziehen los, es geht zunächst einmal durch dunkle, enge Straßen, die nur spärlich beleuchtet sind. Allmählich beginnt leichte Feuchtigkeit auf uns herabzukommen - Nebel war für heute angekündigt und dazu null Sonnenstunden, tolle Aussichten, die uns aber bekannt waren. Es dauert nicht lange, bis wir unsere Rucksäcke mit dem Regenschutz verpacken. Eine Stempelstelle an einer Hauptstraße in Nigrán wird natürlich auch noch mitgenommen. Dahinter ginge der markierte Weg rechts ab, aber wir entscheiden uns, weiter an der Straße zu bleiben. Grund dafür ist auch ein steiler Anstieg und der wahrscheinlich matschige Boden im Wald.

Der Niederschlag wird jetzt so stark, dass wir unsere Regenschirme auspacken und uns beschirmen. Es ist weiterhin warm und die Nebelschwaden hängen immer noch tief. Bei Kilometer 9 setze ich noch einen drauf, hole meine Regenjacke heraus und packe mich damit ein. Allmählich würden wir uns eine Möglichkeit für ein kleines Frühstück wünschen, und schwupps - in Coruxo erfüllt sich der Wunsch. Inzwischen sind wir 12 Kilometer gelaufen und 2:45 Stunden unterwegs. Do lange haben wir es bisher noch nicht ohne Frühstück ausgehalten. In der Cafeteria Atenea bekommen wir eine Kleinigkeit. Keine Kleinigkeit ist eine nicht zu öffnende Toilettentür. Ich malte mir bereits die einen längeren Aufenthalt in dem kleinen Örtchen aus, konnte mich dann aber doch noch befreien.

Wir nähren uns unaufhaltsam Vigo, einer spanischen Großstadt. Zunächst laufen wir gemäß der Empfehlung der Buen Camino-App auf einem eigentlich nicht markierten Weg in Richtung Zentrum. Es finden sich aber immer wieder wegweisende Monolithen und gelbe Pfeile entlang des Rio Lagares. Neben uns schießen mehrere Hochhäuser und das gerade im Umbau befindliche Estadio Abanca Balaidos von Celta Vigo vorbei. Je näher wir in die Stadt kommen, desto lauter und unfreundlicher wird die Umgebung. Zu unserer Freude, hängen in den Schaufenstern vieler Geschäfte oder Restaurants die gelben Muscheln auf blauem Grund und die gelben Pfeile. Ein Verlaufen ist eigentlich nicht möglich. Es beginnt auch wieder mit stärkerem Niederschlag und wir sind froh, gegen 13:00 Uhr die öffentliche Pilgerherberge zu erreichen, die gerade erst öffnet. 91 Pilger haben hier die Möglichkeit zu übernachten, wir sind heute die Nummern 4 und 5. Wir können uns also noch die Betten aussuchen, ich wechsele aber später noch einmal. Zunächst hatte ich mich für ein unteres Bett entschieden, stieß aber beim Aufstehen immer gegen das obere. Oben ist halt mehr Platz nach oben. Einige Pilger sind uns schon über den Weg gelaufen, so auch die italienische Pilgerin mit ihren Blasen. Es ist immer wieder spannend, wenn Jörg ihr auf Englisch versucht zu erklären, dass Hirschtalg Blasen verhindert und sie auf italienisch Vaseline anpreist. 

Eigentlich wollten wir heute Abend etwas warmes essen, aber so ziemlich alle Restaurants öffnen erst wieder ab 20:00 Uhr, das ist uns zu spät.  Es gibt deshalb ein Bocadillo mit Schinken in einem Einkaufscenter. Damit kann man sich aber auch zufrieden geben. Da die Basilika Santa Maria de Vigo in der Nähe ist, statte ich ihr noch einen Besuch ab und stelle eine Kerze auf. Wir beenden den heutigen Tag mit der Zuversicht, dass ab morgen das Wetter wieder besser sein wird.

 

   

 

 

 

Aus Zufall wird Standard

05.10.2025: Vigo - Cesantes (19,5 km)

Rückblick: im Juni 2015 liefen Jörg und ich auf dem Caminho Portugues durch Redondela mit dem Tagesziel Arcade. Der leichte Regen nahm zu und wir entschieden uns, die Etappe abzukürzen und nur bis Cesantes zu laufen, da es dort eine Pilgerherberge gab - das Refuxio de la Jerezana. Wir fühlten uns dort gut aufgehoben und hatten die richtige Entscheidung getroffen. Zwei Jahre später wählte ich die Küstenvariante und es war für mich klar, wieder bei Marie in Cesantes zu übernachten. 2021 war ich zum dritten Mal dort, aber nur zu Besuch. Damals war ich mit meiner Frau Susanne unterwegs und wir hatten eine benachbarte Unterkunft gebucht. Es war mir leider nicht bekannt, dass es inzwischen auch ein privates Zimmer gab. Aber dennoch war ich erfreut, Marie anzutreffen.

Entgegen dem gestrigen, schmuddeligen Tag sollte sich das Wetter deutlich verbessern. Ab 6:00 Uhr herrscht bereits rege Betriebsamkeit in unserem Schlafsaal, die aber nicht unbedingt störend wirkte. Jörg und ich lassen uns noch etwas Zeit, schnappen uns dann aber doch den Rucksack und begeben uns in den Aufenthaltsraum im vierten Stock. Zuerst holen wir unsere im Waschraum noch hängenden Kleidungsstücke und machen uns dann in Ruhe fertig. Ich stelle dabei fest, dass ich mir eine kleine, noch geschlossene Blase am rechten mittleren Zeh zugezogen habe. Anscheinend gab es am Zehenheber der Einlage eine kleine Druckstelle. Ich belasse es dabei und versuche, den Tag durchzustehen. Um 7:40 Uhr verlassen wir die öffentliche Herberge von Vigo. Es ist deutlich kühler als gestern und es weht ein leichter Wind. Allerdings ist schon jetzt in der Dunkelheit zu erkennen, dass über uns der Himmel völlig wolkenlos ist. Wir ziehen durch unendlich lange Straßen am Hafen entlang. Es sind nur ganz wenige Autos unterwegs und noch weniger Menschen. Nur vereinzelt ist das Geschrei von Möwen zu vernehmen.  

Wir brauchen ein geschlagene Stunde, um die 300.000-Einwohner-Stadt hinter uns zu lassen und landen zunächst auf einer Fahrradstraße. Von dort zweigt der Weg ab in ein Steilstück, dass uns auf einen Kilometer rund 100 Meter in die Höhe auf die Senda de Auga bringt. Hier sind schon mehr Pilger unterwegs, aber noch mehr Fahrradfahrer und Läufer. Um 10:00 Uhr haben wir 10 Kilometer zurückgelegt und auch dem Boden weist uns weiße Farbe auf eine Café-Bar hin. Die kommt uns gerade recht. Wir sind anscheinend die ersten Pilger, die heute in der gemütlichen O Eido Vello Cabanas einkehren. Von hier oben hat man einen tollen Blick auf die imposante Ponte de Rande über die Ria de Vigo und die zahlreichen Muschelbänke. Wir genießen zwei Café con leche und ein Bocadillo. Inzwischen füllt sich der Gastraum mit weiteren Pilgern, sodass wir unsere Siebensachen packen und weiterlaufen. Kurz darauf erfreut ein junger Dudelsackspieler die vorbeiziehenden Pilger und endlich schafft es auch die Sonne über den Berg. Es wird auf einen Schlag warm.

Gegen 11:45 Uhr sind wir in Redondela. Gleich am Eingang bietet uns ein Geschäftsinhaber einen Stempel an, den wir gerne mitnehmen. Hier vereinigen sich der Caminho Portugues Central und der Caminho Portugues de la Costa. Das macht sich direkt bemerkbar, denn auf einmal sind viel mehr Pilger um uns herum. Wir entschließen uns, die verbleibende Strecke bis Cesantes durchzulaufen, wollen aber noch kurz in die Igrexa de Santiago de Redondela reinschauen. Diese ist vollbesetzt für den gleich beginnenden Gottesdienst, sodass wir weiterziehen. Nur wenige Schritte weiter befindet sich die Capilla de Saint Mariña, die ich erstmals offen vorfinde und wo es sogar einen Stempel gibt.

Es geht jetzt noch etwas bergauf, bevor wir entgegen der Pilger um uns herum nach rechts abbiegen zum Refuxio de la Jerezana, das etwas abseits vom Weg liegt. Um 12:45 Uhr stehen wir vor der noch verschlossenen Tür, werden aber bereits von  Eugenia begrüßt. Marie werden wir nicht treffen, den sie hält sich seit einiger Zeit in Deutschland auf. Nur wenige Minuten später erscheinen Kathy und Robin aus der Nähe von Dortmund, mit denen wir uns nach dem Einrichten, Duschen und  Waschen zusammensetzen und uns unterhalten. Die beiden sind auf dem Caminho Central unterwegs gewesen. Für heute Abend haben wir direkt ein Menü bestellt und brauchen uns darüber keine Gedanken zu machen. Wir genießen einfach die freie Zeit zum Ausruhen in dieser wunderbaren Oase. Das gemeinsame Abendessen unter dem Zeltdach aller Übernachtungsgäste wird wie üblich zu einem Ereignis, wie man es aus  Pilgerherbergen kennt. Aus drei Tischen wird zunächst eine große Tafel erstellt, bevor aufgetischt wird. Hier sitzen viele verschiedene Nationen an einem Tisch und kommen gut miteinander aus. Nach dem Essen wird die Unterhaltung etwas schwieriger, da die Italiener ziemlich laut sind. Kathy, Robin, Viola, Jörg und ich gehen eine Etage höher, um uns weiter in Ruhe unterhalten zu können. Erst gegen 21:00 Uhr ziehen sich alle in ihre Betten zurück.

 

   

  

   

 

Nichts ist beständiger als die Änderung

06.10.2025: Cesantes - Pontevedra (18,8 km)

Eines Tages wirst du feststellen, dass du keine Zeit mehr hast. Der Moment ist jetzt. Handle. (Paulo Coelho)

Es war eine ruhige Nacht in der Herberge. Um 7:00 Uhr wird das Licht angeschaltet, was ich persönlich gut finde. Keiner hat vorher begonnen, seine Sachen zu packen und die anderen zu stören. Wir gehen zunächst in den Frühstücksraum, wo Eugenia und Pablo ein kleines Frühstück vorbereitet haben. Zum Kaffee gibt es Toast, Butter und Marmelade - völlig ausreichend für diese Uhrzeit. Um 8:15 Uhr haben wir unseren Rucksack gepackt und wollen losziehen. Wir verabschieden uns von unseren Gastgebern und sind dankbar für diese schöne Unterkunft, in der ich bereits zum dritten Mal genächtigt habe. Pablo macht von uns beiden noch ein Erinnerungsfoto für Social Media und dann geht es los. Es ist kalt, nur 10 Grad. Heute ist bei mir zusätzlich der Pulli mit langem Arm angesagt. 

Kaum sind wir auf dem Camino, fällt die große Anzahl an Pilgern auf, die vor allem aus Redondela kommend zu uns stoßen. Es geht einen ersten Hügel hinauf durch Wald und wieder abwärts nach Arcade. Hier hat sich die Wegführung ein wenig verändert, aber wir nutzen die bisherige Strecke. Dabei kommen wir an einem Infostand der Gemeinde vorbei und bekommen auch einen Pilgerstempel. Beim Vorbeilaufen an einem Souvenirladen stehen dagegen bestimmt zwanzig Pilger in einer Schlange, um einen Stempel zu erhalten. Wir müssen vor der Ponte Medieval de Pontesampaio durch eine Baustelle gehen, bevor es danach wieder mal mehr, mal weniger steil aufwärts geht. Mitten im Anstieg über grobe Steine machen wir an einer Pilgerrast eine kurze Pause und treffen dort auch wieder die Holländerin. Schon bald geht es weiter hinauf, vor uns weitere Pilger, die wir vorher noch nie gesehen haben. Der Anstieg geht weiter auf einer Straße und man erreicht am Waldrand den höchsten Punkt. Hier steht ein Imbisswagen, wo sich wiederum viele Leute aufhalten. Endlich geht es nun bergab durch Wiesen und Felder, vereinzelt auch an Häusern vorbei. 

Schließlich erreichen wir gegen 11:30 Uhr die ein paar Meter vom Weg abseits gelegene Bar Casa Fermin in Santa Marta, wo wir eine längere Pause einlegen. Vor uns auf dem Tisch liegen Bocadillos mit Schinken und Käse und ein Café con leche. Erst eine Dreiviertelstunde später setzen wir uns wieder in Bewegung. Es ist jetzt nicht mehr weit bis Pontevedra. Am der nächsten Ecke müssen wir uns zwischen zwei Streckenverläufen entscheiden: entweder an der Straße entlang auf dem offiziellen Weg oder über eine alternative Route entlang des Rio Tomeza, einem kleinen Bach. Dieser führt überwiegend durch schattigen Eukalyptuswald und wird von uns bevorzugt. Schon bald hat uns die Zivilisation wieder und wir befinden uns am Eingang von Pontevedra. 

Hier ist es laut, viele Autos, hektische Menschen und Häuserschluchten. Unser erstes Ziel ist die Igrexa da Virxe do Camiño, DAS Wahrzeichen der Stadt und erste Anlaufstelle für Pilger. Auf dem Weg zu unserer Herberge Acola Sport Hostel treffen wir noch einmal Kathy und Robin, die sich erst einmal umgesehen haben und nun zu ihrer Unterkunft gehen. Wir stehen gegen 13:00 Uhr davor und werden direkt eingelassen. Die Herberge in der Nähe der wunderschönen Iglesia de Santa María la Mayor ist modern eingerichtet, die nur sechzehn Betten haben alle einen Vorhang und sind mit Wäsche ausgestattet. Wir sind auf jeden Fall zufrieden. Und wen treffen wir dort: mal wieder die Holländerin.

Ich habe mir auf dem letzten Wegabschnitt vermehrt Gedanken um die letzten beiden Tage unserer Pilgerwanderung gemacht. Ursprünglich war angedacht, im Kloster Herbón zu übernachten. Da aber inzwischen viele Pilger unterwegs sind und wir bereits um 9:30 Uhr mit dem Boot in Pontecesures anlegen werden, ist bis zur Öffnung der Herberge einfach zu viel Leerlauf. Aufgrund der begrenzten Kapazität könnte es sein, dass wir nicht aufgenommen werden können. Alternativ werden wir circa 15 Kilometer laufen und in einer sehr gut bewerteten privaten Herberge  in Pedreira verbleiben. Dadurch halbiert sich auch der letzte Abschnitt nach Santiago de Compostela am Freitag.

 

   

  

 

 

Verschleiß macht sich bemerkbar

07.10.1025: Pontevedra - Armenteira (16,7 km)

Ich habe die schlimmste Nacht hinter mir, seit wie auf dem Caminho Portugues unterwegs sind. Eine Pilgerin hatte noch nach Mitternacht ihr Licht an und knabberte genüsslich an ihren Keksen. Fast stündlich bin ich aufgewacht und konnte kaum wieder einschlafen. Zu störend waren die Schnarchgeräusche einer Frau nebenan. Spätestens gegen 6:30 Uhr war dann endgültig die „Nacht“ vorbei, als ich wieder einmal wach war und zusätzlich die ersten Autos an der Herberge vorbeifuhren. Wie alle anderen das hier aushalten konnten, ist mir ein Rätsel. Ich warte also noch, bis hier allmählich Aufbruchstimmung beginnt, lange wird es nicht mehr dauern.

Als wir gegen 7:45 Uhr aus dem Haus gehen, schnarcht die Dame immer noch vor sich hin. Es ist dunkel, aber etwas wärmer als gestern, also wieder komplett in kurz. Ein Paar meiner blauen Camino-Socken ist an der Ferse durchgelaufen, sodass ich ab heute ein neues Paar tragen werde. Weitere meiner Ausrüstungsgegenstände haben inzwischen Auflösungserscheinungen. Meine drei wasserdichten Beutel von Ortlieb sind jetzt auch in die Jahre gekommen und platzen an den Nähten auf. Das gleiche gilt für ein Merino-Shirt, das unter den Schulterriemen des Rucksackes leidet. Und zu guter Letzt hat ein Brillenglas außerhalb des Sichtbereiches ein paar Kratzer abbekommen, woher auch immer. Es gibt also nach meiner Rückkehr einiges zu ersetzen.

Wir ziehen pünktlich um 8:00 Uhr los. Wir haben uns bereits frühzeitig entschieden, nicht wie die meisten Pilger den Hauptweg, sondern die Variante Espiritual zu gehen, an deren Ende eine Bootsfahrt auf uns wartet. Aber auch hier weichen wir von der offiziellen Route ab und suchen uns eine Abkürzung. Nach rund 5 Kilometern machen wir in A Seca eine ausgiebige Frühstückspause. Dabei haben wir uns etwas übernommen oder einfach nur unglücklich ausgedrückt. Neben dem Café con leche stehen für jeden ein Bocadillo mit Tortilla sowie noch Bocadillo mit Seranoschinken und Käse auf dem Teller. Das lässt Jörg in Alufolie einpacken und es verschwindet dann in seinem Rucksack. Der Spruch auf dem Zuckertütchen passt hervorragend dazu: „Lerne gut zu leben, dann wirst du gut sterben können. (Konfuzius)“

Ab A Seca ist die Variante gut markiert, deutlich besser als noch vor acht Jahren. In der ersten halben Stunde unserer Pause laufen schon über zwanzig Pilger an ins vorbei - sich hier ist richtig was los. Zum Glück haben wir bereits für heute vorgebucht. Das macht mich nachdenklich und ich reserviere vorsichtshalber ein Zimmer in Vilanova de Arousa, da die öffentliche Pilgerherberge nur eine begrenzte Anzahl an Betten hat. Es wird allerdings mit 35 € unsere teuerste Unterkunft. Um 10:15 Uhr ziehen wir weiter, kürzen noch einmal ab und landen wieder auf der gut markierten Variante. Es geht allerdings jetzt die folgenden fünf Kilometer vom Meeresspiegel auf 320 Meter Höhe bis zum Miradoiro do Loureiro. Von dort oben hat man einen traumhaften Ausblick auf die Ría de Pontevedra. Wir müssen aber noch weitere einhundert Höhenmeter überwinden, bis es endlich wieder abwärts geht. 

Am Ende des Weges erreichen wir nach insgesamt über 500 Höhenmetern das Mosteiro de Santa Maria de Armenteira, einem ehemaligen Zisterzienserkloster aus dem 12. Jahrhundert. Heute lebt dort eine Gemeinschaft von Trapistinnen. Jetzt ist es nicht mehr weit bis zu unserer Herberge, die bis vor einem Jahr noch eine öffentliche war.  Wir werden auf deutsch begrüßt, denn die Hospitalera stammt aus der Nähe von Heilbronn und hat eine spanische Mutter. Neu für uns: vor dem Betreten der Herberge werden unsere Rucksäcke desinfiziert: „Wir wollen keine Gäste haben, die nicht bezahlen!“ Gute Idee, hier werden wir keinen Besuch von Bettwanzen haben. Es ist kurz nach 13:00 Uhr, gerade erst hat die Herberge geöffnet. Wir bekommen unsere Betten zugewiesen, duschen, waschen und gehen zurück in Richtung Kloster, wo wir in einem Restaurant einen Salat und Pulpo essen. Etwas später trifft die Holländerin ein, sie übernachtet im Kloster. Wir tauschen mal unsere Namen aus, sie heißt Anne. Sie spricht von uns bisher von „The Germans“. Übrigens, bevor wir gehen, kommt eine Familie mit einem kleinen Mädchen an, die wir bereits in A Seca gesehen haben. Es gibt von allen Gästen tosenden Applaus, dass sie es bis hier geschafft hat. Wieder zurück in der Herberge treffen wir auch die Italienerin, die so gut wie keine andere Sprache spricht. Sie heißt Monica. Allmählich füllt sich die Herberge, heute ist sie ausgebucht. Es ist aber immer wieder erstaunlich, wie rücksichtslos sich auch erwachsene Menschen gegenüber sich ausruhenden anderen verhalten. Sie sind wohl der Ansicht, alleine zu sein und können einfach nicht die Lautstärke ihrer Unterhaltung etwas anpassen.

 

   

  

 

 

Tag der Abkürzungen

08.10.2025: A Armenteira - Vilanova de Arousa (19,5 km)

5:30 Uhr: die ersten beginnen mit ihren Tagesvorbereitungen, sind aber leise dabei, einer geht schon vor die Türe rauchen und bringt einen unangenehmen Geruch in den Schlafraum mit. Kurz darauf starten sich die schon gestern lauten Spanier und sind genauso rücksichtslos wie gestern. Jörg und ich stehen erst gegen 7:15 Uhr auf und lassen uns Zeit. Die ersten drei Kilometer verlaufen an einem Bach entlang durch Wald und über holprigem Boden. Da sollte es schon mindestens dämmern. Wir genehmigen uns noch ein Heißgetränk aus dem Automaten und werden erst zum spätest möglichen Zeitpunkt um 8:00 Uhr die Herberge verlassen. Die Spanier sind übrigens immer noch da - warum muss man so früh aufstehen?

Wir wollen gerade aufbrechen, da kommt Eva, die Pächterin der Herberge, sodass wir uns noch bei ihr verabschieden können. Sie wird jetzt alle Betten so desinfizieren, wie sie gestern unsere Rucksäcke bearbeitet hat. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, um eine mehrwöchige Schließung vorzubeugen. Jörg und ich folgen den anderen Übernachtungsgästen, die im Dunkeln schon den Einstieg in die Ruta da Pedra e da Agua erreicht haben. Sie gehen im Gänsemarsch vorsichtig hintereinander her und beleuchten sich mit den Taschenlampen ihrer Smartphones ein wenig den Weg. Wir hinterher. Die Wahl der Gruppe fiel zu ihrem Glück auf die Strecke für Radfahrer, die einfacher zu bewältigen ist als die auf der anderen Seite des Rio Armenteira für Wanderer. Schon bald überholen wir alle, als sie sich zu einem Gruppenfoto aufstellen. Wir sind eine Stunde unterwegs und treffen überrascht auf eine Café-Bar, deren Einladung wir zu einem kleinen Frühstück annehmen.

Nach einer halben Stunde ziehen wir weiter, inzwischen haben sich hier viele Pilger versammelt. Es reihen sich jetzt mehrere alte Wassermühlen hintereinander, wovon ich den meisten den Status einer Ruine zuerkenne. Lediglich am Ende der Ruta kann man sich im Inneren einer größeren Mühle ein Bild vom früheren Leben darin machen. Insgesamt bleiben wir 7 Kilometer am Rio Armenteira, der am Ende eher einem kleinen Bach ähnelt, bevor er in den Rio Umia mündet. An diesem bleiben wir bis zur ersten Brücke und verlassen dann den markierten Jakobsweg, der ab hier einen größeren Bogen macht. Den wollen wir ein wenig abkürzen. Schon nach wenigen Schritte machen uns nacheinander ein Mann und eine Frau aus dem Auto heraus darauf aufmerksam, dass der Camino de Santiago anders verläuft. Das ist sehr nett, aber wir haben uns ja nicht verlaufen. Es geht durch Weinfelder, ein Gewerbegebiet und einige zusätzliche Höhenmeter, bis wir wieder die bekannten Markierungen vorfinden.

Weiter geht es auf wenig befahrenen Straßen und durch kleine Siedlungen, wo wir kaum Menschen antreffen. Das gleiche gilt für Pilger - keine zu sehen. Wir haben für heute zwar vorab eine Unterkunft gebucht, wollen aber zuerst versuchen, in der öffentlichen Herberge in Vilanova de Arousa unterzukommen. Dazu kürzen wir noch einmal den Weg ab, damit wir dort vor der Masse von Pilgern ankommen. Über die Autobrücke erreichen wir am schnellsten die Herberge, die sich im ersten Stock der Sporthalle befindet. Von der Brücke kann man das fast trocken liegende Naturgebiet der Stadt sehen, das vor allem für sein Fanggebiet von Muscheln beliebt ist. Es ist jetzt kurz vor 13:00 Uhr und es herrscht Ebbe. Nur zwei Stunden später wird das Gebiet überflutet sein. Die Herberge dagegen ist schon offen und nach einem Anruf eines spanischen Pilgers gibt es das Signal, dass wir schon Betten belegen dürfen. Die Registrierung erfolgt dann später um 15:00 Uhr. Zugleich storniere ich die andere Unterkunft, was zum Glück kostenfrei möglich war. Unter dem Strich haben wir mit unseren Abkürzungen fast fünf Kilometer eingespart.

 

   

 

 

  

Ein Marathon in einer recht guten Zeit

09.10.2025: Vilanova de Arousa - A Pedreira (43,1 km)

Da war wieder eine Nacht - bis um Mitternacht lief in der Sporthalle, in der die Pilgerherberge untergebracht ist, ein Handballspiel. Es wurde verständlicherweise für die Sportler, störend für uns, recht laut im Spielverlauf. Dennoch habe ich zumindest danach gut und tief geschlafen. Erst kurz nach 6:00 Uhr wird es wieder lebendiger im Schlafsaal. Neben älteren Pilgern, die sich wie wir immer bemühen, sehr leise zu sein, gibt es leider vor allem Jüngere, die sich nicht an die Gepflogenheiten halten. Vor allem einen jungen Mann hat Jörg im Visier, der mal einfach die volle Beleuchtung anmacht. „You‘re not alone“! Schnell geht das Licht wieder aus. Bemerkenswerter aber ist, dass fünfzehn Betten in der Herberge nicht belegt waren. Damit hätten wir nicht gerechnet. Es verbleiben nur wir beide und ein Pilger aus Taiwan, alle anderen sind bereits gegangen.

Na ja, ganz so viele Kilometer wie oben angegeben werden wir nicht zu Fuß zurücklegen. Wir haben uns schon früh für die Translatio entschieden. Darunter versteht man die wundersame Reise des Leichnams des Jakobus nach seiner Hinrichtung in einem Boot von Jerusalem zur Küste von Padrón in Galicien. Einen Abschnitt davon - beginnend in Vilanova de Arousa und endend in Pontecesures - absolvieren wir ebenfalls mit einem Boot. Gegen 8:30 Uhr stechen drei Boote in See, begleitet von viel frischer, kühler Luft und Fahrtwind. Unser Skipper hält unterwegs mehrfach an und gibt uns Erklärungen zu den jeweiligen Orten. Nach etwas über einer Stunde steigen wir in Pontecesures aus und setzen den Weg wie viele andere Pilger sich zu Fuß fort. Gegen 10:30 Uhr treffen wir in Padrón ein. Leider hat das kultige Café Don Pepe 2 wegen Betriebsferien geschlossen - so ein Zettel in der vergitterten Türe. Leider musste ich mir noch am selben Tag erzählen lassen, dass Don Pepe 2 für immer geschlossen ist. Dort hängen an den Wänden alle möglichen und unmöglichen Souvenirs von Pilgern. Ich hätte jetzt meine nicht mehr nutzbaren Camino-Socken dagelassen. So machen wir in einem benachbarten Café unsere Frühstückspause. Leider ist auch die Jakobuskirche nicht zu besuchen, da dort gerade ein Gottesdienst stattfindet.

Wir machen uns nach einer halben Stunde wieder auf dem Camino, und der ist richtig belebt. Wir überholen zwei größere Gruppen, werden aber auch von einer Gruppe spanischer Soldaten stehen gelassen, die mit Gepäck und Waffe unterwegs sind. Jörg und ich kommen gut voran und legen unsere nächste Pause in A Picaraña. Dort sitzen in einer Eck vier Militärpolizisten, die ich neugierig fragte, was die Kameraden hier machen. Schon in Pontecesures haben wir auf einem Sportplatz ein Militärcamp gesehen und zwischendurch auch mal ein Sanitätsfahrzeug. Einer der MPs erklärt mir, dass die Soldaten einen Marsch von Teo nach Santiago de Compostela machen. Das sind rund 120 Kilometer - Respekt. Wir erreichen nun den Punkt, wo ich eigentlich unsere Herberge verortet habe. Allerdings habe ich mich da ein wenig vertan, sie befindet sich tatsächlich erst nach weiteren zwei Kilometern in Richtung Santiago. Das stört uns nicht, verkürzt das doch morgen unseren letzten Abschnitt noch einmal.  

Um 14:15 Uhr erreichen wir dann doch die Albergue Aldea da Pedreira, die erst vier Jahren eröffnet hat. Bei meinem letzten Camino Portugues vor vier Jahren war sie noch nicht da. Im Hof des Anwesens steht zudem ein Foodtruck, der uns und auch vorbeiziehende Pilger versorgt. Uns werden die Einrichtungen gezeigt und wir sind begeistert. Das ist so ziemlich die beste Herberge in diesem Jahr. Duschen, Waschen und einen riesigen, leckeren Burger verdrücken - damit ist der Nachmittag verplant. Ach ja, die reine Entfernung zu Fuß war heute rund 16 Kilometer. Es verbleiben jetzt noch circa 12 Kilometer bis Santiago de Compostela.

 

   

 

 

  

Das ging heute alles sehr schnell

10.10.2025: A Pedreira - Santiago de Compostela (11,9 km)

War das eine ruhige Nacht, ausgeschlafen und meine spricht von einer ausgezeichneten Qualität meines Sleepscores. Was will man noch mehr? Machen wir es kurz: um 7:45 Uhr verlassen Jörg und ich die Unterkunft und machen uns  auf die letzte Etappe unseres gemeinsamen Weges nach Santiago de Compostela. Während uns bei frischen Temperaturen der fast noch volle Mond die Strecke beleuchtet, sehen wir vor uns sich regelmäßig bewegende Lichtkegel einer Taschenlampe. Wir kommen mit der spärlichen Beleuchtung gut zurecht, außerdem dämmert es bereits und am Horizont wird es immer heller. 

Wir sind kaum eine Stunde unterwegs, finden wir nach einem leichten Anstieg entlang einer gut befahrenen Straße vor O Milladoiro den Hinweis auf eine Bar. Dort sitzen schon ein paar andere Pilger und eine ganze „Kompanie“ der Guardia Civil. Nach der Frühstückspause sind es nur noch rund 7 Kilometer, die wie im Fluge vergehen. Es werden weitere Pilger überholt und die zwei täglich erforderlichen Stempel eingesammelt. In der Ferne sind auch schon die markanten Türme der Kathedrale zu sehen. Anstatt entlang der „langen Meile“ in die Stadt zu laufen, nehmen wir die rechts abzweigende Alternativroute, wo es nicht so hektisch und laut ist. Dann geht alles rasend schnell. Wir überqueren die letzte Kreuzung und gehen durch geschäftige Rúa do Franco. Durch schmale Lücke der eng stehenden Häuser lugt hin und wieder die Spitze eines Turmes der Kathedrale hervor. Links und rechts wird uns eine Kostprobe von Tarte de Santiago angeboten oder in Schaufenstern liegt ein mögliches Mittagessen. 

Um 10:50 Uhr stehen wir jedenfalls auf der Praza de Obradoiro und haben den Caminho Portugues da Costa einschließlich der Variante Espiritual geschafft. Blessuren? Lediglich eine kleine Blase, die ich seit Vigo manchmal gespürt habe, die aber inzwischen ohne weiteres dazutun ausgetrocknet ist. An einem Tag hat sich mal das linke Knie bemerkbar gemacht, dann aber schnell aufgehört. Besonders froh bin ich, dass ich überhaupt keine Probleme mit meinem lädierten Rücken hatte. Dank dem guten Training im Activita bin ich schmerzfrei geblieben. Ach bei Jörg gab es am Ende hin und wieder ein Zwicken im Knie, je nach Bewegung. Damit können wir mehr als zufrieden sein.

Völlig überrascht sind wir, als wir um 11:00 Uhr schon unsere Compostela in der Hand halten. Ich hatte bereits frühzeitig die neuerdings erforderliche Online-Registrierung durchgeführt, sodass wir am Eingang des Pilgerbüros sofort unsere Wartemarken bekommen: die Nummern 266 und 267. Keine zwei Minuten in der Warteschlange werde ich zum Schalter 9 und Jörg zum Schalter 7 aufgerufen. Dort wird der uns nach der Registrierung geschickte QR-Code gescannt, der Pilgerausweis überprüft und die Urkunde ausgedruckt. Fertig! Wir sind begeistert, denn bei unserem letzten gemeinsamen Eintreffen in Santiago 2015 haben wir im alten Pilgerbüro fast zwei Stunden in der Schlange gestanden. Mit uns sind heute übrigens noch weitere 3182 Pilger im Pilgerbüro registriert worden.

Da wir erst um 14:00 Uhr unsere Zimmer im Seminario Menor beziehen können, drehen wir schnell noch eine Runde über die Praza de Obradoiro. Vielleicht treffen wir ja noch ein paar bekannte Gesichter aus den letzten zwei Wochen. Und ja, genauso ist es. Ein Ehepaar, das mit uns in der Herberge in Labruge übernachtete winkt uns zu. Und dann machen sich vor uns von der seitlichen Sitzreihe Kathy und Robin bemerkbar. Wir freuen uns, die beiden zu sehen, setzen uns dazu. Wir bleiben fast zwei Stunden und tauschen uns bei der ein oder anderen Dose Estrella Galicia aus. Auf dem Weg zu frischen Getränken stolpere ich fast über ein Geldstück: auf dem Boden vor der Kathedrale liegt eine 5 Cent-Münze. Ich hebe sie auf und drehe sie um: es ist eine spanische mit der Abbildung der Kathedrale von Santiago. Zufall? Nein. Dann wird es Zeit, in unserer Unterkunft einzuchecken, gegen 15:00 Uhr nehmen wir unsere kleinen, spärlich eingerichteten Zimmer in Beschlag. Zunächst rufe ich bei meinen Eltern an, denn heute bin ich an ihrem 61. Hochzeitstag in Santiago angekommen. 

Nach dem Duschen haben wir Hunger, mehr als zwei Croissants haben wir heute noch nicht gegessen. Nach längerem Suchen finden wir ein Restaurant und bestellen das Pilgermenü bestehend aus Caldo Gallego, einem Pulpo-Garnelen-Spieß, Rinderfilet mit Pommes und Tarta de Santiago. Immer wenn ich in Santiago bin, suche ich nach einer besonderen Muschel, die künstlerisch gestaltet ist, als Belohnung für meinen Camino. Heute habe ich noch nicht danach gesucht, aber ich habe sofort eine tolle gefunden - gleich gegenüber von unserem Tisch sitzt eine Künstlerin, die Muscheln und Steine hübsch verschönert. Eine Muschel in einem Blauton spricht mich schon die ganze Zeit an. Während die Suppe serviert wird, springe ich rüber und kaufe die Muschel. Ich werden zudem gebeten, etwas in ein Büchlein zu schreiben - mache ich gerne. Nach dem Essen bummeln wir noch etwas durch die engen Gassen und stöbern nach Souvenirs. Und wer läuft uns wieder einmal über den Weg: Anne. Schnell noch einmal ein Foto gemacht. Auf dem Heimweg wird es allmählich etwas kühler, aber ein Eis begleitet uns trotzdem zum Ende des Tages.

In meinem Pilgertagebuch von 2015 ist am Ende zu lesen:

Doch wie sagte Jürgen eben zum Abschied: „Du wirst sehen, es ist nicht das letzte Mal. Du kommst wieder."

Ich bin überzeugt, dass er richtig liegt. Irgendetwas von dir bleibt auf der Praza da Obradoiro zurück.

Und irgendwann musst du wieder nach Santiago, es zu suchen und wieder mitzunehmen.

Nach über zehn Jahren sehe ich das ein klein wenig anders. Ja, irgendetwas bleibt auf der Praza de Obradoiro von dir zurück. Du wirst es auch bei jeder Rückkehr nach Santiago wieder finden. Jedes Mal ein klein wenig anders, denn das Leben geht weiter und verändert sich und auch dich. Du nimmst auch nur einen kleinen Teil davon mit nach Hause und lässt den anderen Teil dort. Dieser kleine Teil, den du mitnimmst, bereichert dein Leben, deine Umgebung, dein Tun. Und irgendwann kommt ein Zeitpunkt, wenn du von dem verbliebenen Teil wieder etwas abholen musst.

 

   

 

 

 

Als Statisten nicht gewollt

11.10.2025: Santiago de Compostela (ca. 10 km)

Der Caminho Portugues ist geschafft, heute wird Santiago auf den Kopf gestellt. Gut, das macht wohl eher die Masse an Pilgern und noch mehr Touristen, die durch die Stadt getrieben werden. Zu früher Morgenstunde ist Santiago menschenleer, der Boden ist nass von der Reinigungskolonne und die Markthallen werden von vereinzelten Fahrzeugen beliefert. Jörg und ich sind früh auf den Beinen, wir wollen um 8:00 Uhr am Gottesdienst der deutschen Pilgerseelsorge in der Kapelle im Gebäude des Pilgerbüros teilnehmen. Vor dem Eingang warten bereits die ersten Pilger, um Ihre Compostela abzuholen, werden aber von der Security noch vertröstet. In der Kapelle erwartet uns das aktuelle Team mit Adelheid, Bernd und Martina. Besonders schön finde ich, dass wir uns zu den Fürbitten alle um den Altar stellen dürfen. Jeder hat die Möglichkeit, etwas Weihrauch auf eine glühende Kohle zu streuen und etwas zu sagen oder denken. Meine lauten und leisen Gedanken sind bei meinem französischen Pilgerfreund Marcel und meiner ganzen Familie. Im Anschluss an den Gottesdienst erteilt Bernd jedem einen persönlichen Segen. Es folgt eine Einladung zu einer Gesprächsrunde, die von den meisten gerne angenommen wird.

Jörg und ich haben um 10:30 Uhr einen Termin bei der Barberia da Praza, den wir schon gestern vereinbart hatten. Vorher nehmen wir noch ein kleines Frühstück ein, damit wir den Rest des Tages auch durchhalten können. Unser Barbier gibt sich richtig Mühe und geht gründlich zu Werke. Bei mir verschwindet die komplette Haartracht aus dem Gesicht, bei Jörg wird gekürzt und konturiert. Zufrieden und wieder hübsch für das normale Leben ziehen wir weiter zu den benachbarten Markthallen. Es ist immer wieder interessant, durch die verschiedenen Abteilungen des Marktes zu laufen. Wir entscheiden uns dann auch kurzfristig, noch einmal eine Racion Pulpo und dazu frische Miesmuscheln zu vertilgen. Das war eine sehr gute Idee und auch hier ziehen wir zufrieden von dannen. Bevor wir zur Praza de Obradoiro gehen, besorgen wir uns je eine Rolle Frischhaltefolie, mit der wir morgen unsere Rucksäcke verpacken werden.

Die nächste Zeit sitzen wir vor der Kathedrale und beobachten Menschen, die erschöpft aber glücklich zu Fuß oder mit dem Fahrrad ihren Camino beenden. Die meisten haben einen normalen Gang, anderen merkt man ihre Strapazen deutlich an. Es ist interessant, wie unterschiedlich die Pilger ihr Ankommen begehen. Gruppen stehen im Kreis und singen ein Lied, Fahrradpilger heben für ein Foto ihr Zweirad über den Kopf und wiederum andere präsentieren ihre Pilgerurkunde oder ihren auseinander gefalteten Pilgerausweis. Dazwischen treffen wir wieder einmal auf Monica, die Italienerin. Jörg betätigt sich bei ihr und einer Pilgergruppe als Fotograf für eine Erinnerung an diesen Augenblick. Kurz vor 14:30 Uhr begeben wir uns zum Eingang der Krypta, denn wir haben Tickets, um die sagenhafte Pórtico da Gloria zu besichtigen. Früher betraten die Pilger durch diese die Kathedrale und es gehörte zum Ritual, die Wurzel Jesses zu berühren. Das ist heute leider nicht mehr möglich.

Die Zeit plätschert so dahin und wir gehen noch einmal in Richtung Pilgerbüro, wo wir unser Abendessen einnehmen möchten. Wir finden tatsächlich einen freien Tisch und bestellen uns eine Paella mit Meeresfrüchten, die wirklich vorzüglich ist. Auf dem Rückweg zur Unterkunft stellen wir fest, dass auf der Praza de Obradoiro immer noch viele Menschen stehen, ein größerer Bereich aber abgesperrt ist. Vor der Kathedrale wird von einem italienischen Team ein Film gedreht, der den treffenden Namen „Buen Camino“ trägt, wie auf der Klappe zu lesen ist. Die KI verrät mir, dass tatsächlich ein solcher Film momentan entsteht und im Dezember zumindest in Italien in die Kinos kommt. Zwei Szenen bekommen wir hautnah mit, aber anstatt uns zu bitten, als Statisten mitzuwirken drängt man uns einfach weiter zurück. Dann eben nicht, Regisseur Gennaro Nunziante ist sich sicherlich nicht bewusst, was er mit uns beiden verpasst hat. Wir haben jedenfalls zum Abschluss des Tages ein schönes Erlebnis gehabt und machen uns jetzt endgültig auf zu unseren Zimmern im Seminario Menor.

Nachtrag: Bei unserem Besuch in der Kathedrale hatte ich zwei Kerzen angezündet, eine für meine Familie und eine für Marcel. Am Abend bekam ich von ihm eine Nachricht, unter anderem mit diesem Inhalt: „Heute habe ich eine kleine Wanderung oberhalb von Gavarnie zum Col de Bouchard unternommen, wo ein Weg nach Compostela vorbeiführt. Was für ein Zufall. Gerade als du mir deine Nachricht und das Foto der Kerze geschickt hast...“ 

 

   

 

 

 

Abschied für dieses Jahr

12.10.2025: Santiago de Compostela - Frankfurt

Heute ist der letzte Tag unserer diesjährigen Pilgerwanderung – am frühen Abend fliegen wir wieder nach Hause. Wir haben uns für den Tag einen Plan gemacht, wollen zunächst frühstücken, anschließend noch einmal auf die Praza de Obradoiro gehen, bevor es dann zu, Flughafen geht. Wir lassen usn dementsprechend viel Zeit und verabreden uns erst für halb neun. Unsere Rucksäcke sind so gut wie reisefertig gepackt. Wir schließen sie im Keller unserer Unterkunft in Schränke ein, dann müssen wir sie nicht den ganzen Tag mitschleppen. Eigentlich wollten wir ein Frühstück hier im Haus einnehmen, aber ein Blick in den riesigen Aufenthaltsraum mit vollbesetzten Tischen und einem hohen Lärmpegel schreckt uns ab. Wir beschließen in die Stadt zu gehen und noch einmal in die Bar Cañadú in der unmittelbaren Nähe des Pilgerbüros zu gehen. Dort waren wir bereits gestern morgen. Auf dem Weg dorthin nutzen wir die Gelegenheit, doch noch einmal die Kathedrale zu besuchen und am Apostelgrab zu verweilen. Das war uns bisher aufgrund der großen Besucherzahlen nicht möglich. Heute morgen ist es jedoch sehr ruhig und reihen uns in die sehr kurze Schlange vor der Jakobusstatue am Hochaltar und der Grabkammer ein. Eine Teilnahme an einem Pilgergottesdienst ist in diese Jahr nicht möglich, man muss beinahe zwei Stunden vorher in der Kathedrale sein, um noch einen Platz zu erhalten.

Kurz darauf sitzen wir in einer Ecke der kleinem, gemütlichen Bar. An der Decke hängen unzählige Geldscheine aus aller Welt mit einem Gruß der ehemaligen Besitzer. An einem anderen Tisch sitzen vier deutsche Pilger, die gestern Morgen ebenfalls im deutschsprachigen Gottesdienst waren. Sie hören gespannt dem Monolog eines weiteren Deutschen zu, der sogar uns mit der Entfernung ziemlich langweilt. Jörg und ich bestellen ein deftiges Frühstück, bestehend aus Brot, Spiegelei, Bacon und Bohnen. Das tut richtig gut. Inzwischen ist auch die Sonne wieder erschienen und wir begeben uns auf den schon belebten Platz vor der Kathedrale. Allerdings sind dort überwiegend Touristen und weniger Pilger. Dennoch ist es immer wieder interessant hier zu sitzen und Menschen zu beobachten. Gegen 11:00 Uhr machen wir uns auf den Weg zum Seminario Menor, um unsere Rucksäcke abzuholen. Es ist jetzt halt doch genug und wir glauben nicht, dass wir noch Pilger treffen, die wir in den vergangenen zwei Wochen hin und wieder gesehen haben. In dem Moment bekommen wir noch ein kleines Spektakel geboten. Eine größere Gruppe junger Pilger zieht auf die Praza ein, angeführt von drei riesigen, tanzenden Jakobusfiguren. Es handelt sich dabei um eine gemeinüntzige Organistion, die sich für sozial schwache junge Leute einsetzt. Heute beenden sie ihren jährlichen Jakobsweg.

Vom Seminario Menor müssen wir noch knapp 1,5 Kilometer bis zur Bushaltestelle am Bahnhof von Santiago laufen. Die Sonne brennt uns dabei letztmalig auf den Körper. Es dauert nicht lange, bis unser Bus der Linie 6A kommt und nonstop zum Flughafen fährt. Dort angekommen verpacken wir unsere Rucksäcke wieder in schützende Folie. Es ist jetzt erst 13:00 Uhr und wir müssen noch gut zwei Stunden warten, bis wir unser Gepäck abgeben können. Zum Glück öffnet der Schalter etwas früher und wir können schon einmal durch die Sicherheitskontrolle gehen. Die Wartezeit verbringen wir bei einem Snack und müssen entsetzt feststellen, dass der heute Morgen beim Frühstück unangenehm aufgefallende Deutsche auf uns zusteuert, dann aber doch einen anderen Tisch wählt. Auf jeden Fall hebt unser Flieger gegen 18:30 Uhr in Santiago de Compostela ab und wirft uns etwas ber zwei Stunden später in Frankfurt wieder raus. Das war es dann für dieses Jahr. Jörg und ich haben wieder eine schöne Zeit zusammen verbracht und sind gesund nah Hause gekommen. Pläne für das nächste Jahr stehen ja schon, Camino Frances ab Pamplona. Wann? Das wird die Zeit bringen.

Nachdem wir uns voneinander verabschiedt haben, suche ich mir einen Zug aus. Nach Koblenz zu fahren bedeutet mehfaches, umständliches Umsteigen. Es fährt vom Frankfurter Flughafen kein direkter Zug dorthin. Also wähle ich einen ICE, der mich in einer knappen halben Stunde nach Montabaur bringt, wo ich schon von Susanne auf dem Bahnsteig empfangen werde. Es ist immer wieder schön, nach Hause zu kommen.

 

   

 

    


 

 


 

    

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